Holzwickede Gewerbe
Fa. Wiederholt 10. Fortsetzung
13.09.2024
Zum Zeitpunkt des Luftangriffs am 23.3.45 gab es bei den großen Betrieben Reichsbahn, Zeche und Wiederholt ca. jeweils 200 bis 230 also mit den Kleinbetrieben z.B. Fa. Künstler, Horstkotte und der Landwirtschaft ca. 750 Zwangsarbeiter in Holzwickede. Der oben genannte Reichsbahnhof (hier standen 1500 Waggons beladen und ohne Transportmöglichkeit) war primäres Zielgebiete für die alliierten Fliegerbomben und die Waggons brannten 7 Tage. Ein vorzeitiger Abwurf über dem Alten Dorf hatte allein hier 9 Tote zur Folge. Wie oben angeführt wurden angeblich 54 Tote (Quelle nach Ligges) nach dem Luftangriff gezählt, davon konnten 44 namentlich als Deutsche identifiziert werden z.B. durch Angehörige, Nachbarn, Verwandte und Freunde und wurden umgehend in der Sterbeakte (565) der Gemeinde Holzwickede mit einzelnen Sterbeurkunden (43-87) erfasst. Nach Dokumentation in der Standesamtakte sind bis 1942 wohl 3 Sterbefälle von Niederländern zu belegen und aus den Jahren 1942 bis 1945 vor dem Luftangriff sind namentlich 14 Zwangsarbeiter davon 13 als Ostarbeiter und 1 Franzose als Todesfälle registriert ohne weitere Ortsangabe und Umstände. Das Standesamt spricht in diesen Fällen von Ostarbeitern und die Todesursache wird 2x mit Tuberkulose, 1x mit Herzkollaps und sonst mit „unbekannt“ eingetragen und deklariert. Eine Todesliste zu den Zwangsarbeitern im Rahmen des Luftangriffs ist mir nun unbekannt. Nur der Zwangsarbeiter Sachar Kaschuk wird in diesem Zusammenhang zum 23. März 1945 standesamtlich erwähnt.
Es besteht im Zusammenhang mit dem Luftangriff aus den erfassbaren Literaturangaben (Ligges und Standesamt) also eine Differenz von ca. 10 Todesfällen. Eventuell und vermutlich hat Ligges spätere Todesfälle, die im Zusammenhang mit dem Luftangriff z.B. durch schwerwiegende Verletzungen eingetreten sind, hinzugerechnet. Die Kriegsgräberstätte auf dem Friedhof Holzwickede belegt 14 Gräber aus dem 2. Weltkrieg, von denen 9 namentlich bekannt waren mit Todeszeitpunkt vor dem Luftangriff und nur einen Todesfall im Zusammenhang (s. Kaschuk) mit dem Luftangriff am 23. März 1945. Die Baracken der Zwangsarbeiter (u.a. spez. Königstraße (Stehfenstraße), Werksgelände Zeche und begrenzt Wiederholt) waren eigentlich unmittelbar gefährdet. Durften Zwangsarbeiter widerrechtlich in Holzwickede bei Reichsbahn oder Zeche Luftschutzräume betreten? Hier besteht meines Erachtens nach ein wünschenswerter notwendiger Klärungsbedarf.
Auch aus den amtlichen Schriftwechseln zu den Kriegsgräbern zwischen Arnsberg, Aplerbeck, Unna und Holzwickede bis zur WAST (Wehrmachterfassungsstelle) Berlin-Friedenau sind diesbezüglich unergiebig.
Zur Vollständigkeit der Hinweis zum Friedhof Opherdicke. Hier sind 2 polnische Zwangsarbeiter mit tödlicher Granatsplitterverletzung aber mit Datum vom 12.4.1945 zu ermitteln. Weitere 10 unbekannte Kriegsgräber könnten in Opherdicke evtl. hier aus dem Ruhrtal nach der Sprengung der Möhnetalsperre zugeordnet werden.
Also auch nach 80 Jahren noch ungeklärte Fragen zu einem schrecklichen Kriegsgeschehen und sollte im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf Holzwickede nur 1 Zwangsarbeiter umgekommen sein, wäre dies natürlich bedauerlich und leidvoll, aber gemessen an der Gesamtzahl und ihrer Gefährdung ein durchaus glücklicher Umstand und dies durchaus im Vergleich zum Leid der unschuldig betroffenen Bevölkerung von Holzwickede.
Aber weiter im Kriegsverlauf März/April 1945 und zurück zum VW-Werk Wiederholt
Schon 20 Tage nach dem Luftangriff erreichen amerikanische Verbände am 11. April 1945 schon Holzwickede und Vincenz Wiederholt notiert nur in seiner Biografie die Plünderung der Werkskantine durch die gefangenen Russen, eine Aktion an der sich übrigens die Franzosen nicht beteiligt hätten. Die Fa. Wiederholt wurde besetzt und dank guter Sprachkenntnisse konnte Vincenz Wiederholt die Einquartierung der Amerikaner im Kameradschaftshaus erwirken und nicht in den Privatwohnungen auf dem Werksgelände.
Die Belegschaft Wiederholt beklagte und trauerte um 54 gefallene und noch 21 vermisste Soldaten in ihren Rohrpostnachrichten vom Januar 1953 aus dem 2. Weltkrieg.
Waffenstillstand am 9.5. 1945
Der Krieg endete dann für Deutschland in der totalen Kapitulation mit allen Konsequenzen: Offenbarung für die Weltöffentlichkeit für das schuldhafte willkürliche und unmenschliche Leid vieler Betroffener auf allen Seiten im Kriegsgeschehen und den Konzentrationslagern und für Deutschland und die eigene Bevölkerung noch zusätzlich die Teilung des Landes und Vertreibung aus alten Heimatgebieten.
Aus dem Set der 10 französischen Fotokarten zur Unterzeichnung der Kapitulation am 7. Mai 1945 in Reims habe ich folgend 3 Ansichten ausgewählt u.a. mit US-General D. EISENHOWER und sowjetischen Generalmajor I. SUSLAPAROFF und unterschreibend für Deutschland Generaloberst A. JODL.
Zur Situation des VW – Werkes Vincenz Wiederholt zum Zeitpunkt des Eintreffens der amerikanischen Verbände in Holzwickede gibt es einen Zeitzeugenbericht (folgend in gekürzter und sinngemäßer Form) von Ernst Hinnerwisch jun. Er berichtet von der Totalzerstörung seines Hauses und der Druckerei beim Luftangriff am 23. März auf der Admiral-Scheer-Straße (Hauptstraße und Haus Hinnerwisch war südlicher Nachbar der Gaststätte Adler) und war mit Mutter und Großmutter bei dem Betriebsleiter der VW – Werke – seinem Großvater – Herrn Emil Solmecke auf dem Werksgelände im Gästezimmer untergekommen !
Ein Ausschnitt aus einem Briefkopf (6.März 1939) des VW – Werkes (aus dem Buch von Herbert Wilhelmy aus der Reihe Archivbilder HOLZWICKEDE im Sutton Verlag GmbH Erfurt im Jahr 2005) vermittelt wohl die damaligen westlichen Gebäudekomplexe auch mit Wohnungscharakter und wohl das Kameradschaftshaus.
Nach E.H.: Am 11.April hatten die Bewohner im Großbunker unter dem Sportplatz auf dem Fabrikgelände Wiederholt Schutz gesucht und in den Morgenstunden betraten 20 US – Soldaten das Werksgelände. Der Bunker wurde geräumt, vorhandene Waffen wurden zerschlagen und Vincenz Wiederholt stabilisierte im perfekten Englisch das weitere Geschehen. Ein Teil der Soldaten der US - Kampftruppe zogen weiter nach Sölde, aber es verblieben im Werk einige US – Soldaten zur Absicherung. Ernst Hinnerwisch war dadurch beruhigt bezogen auf die von ihm geschätzten 40 Zwangsarbeiter in der „Russenbaracke“ im südlichen Werksbereich und deren evtl. unberechenbares „Befreiungsverhalten“. Am Nachmittag des 11. Aprils wurde das VW – Werk zum Heerlager einer US-Nachschub und Ersatzteil-Einheit erklärt. Vincent Wiederholt gelingt es statt der auf dem Gelände vorhandenen Werkswohnungen für die US – Soldaten das Kameradschaftshaus als Quartier erfolgreich anzubieten. Für die US – Soldaten war eine Verpflegungsküche im Südkino Bader eingerichtet worden (Sedanstr. heute Vinckestr. und aktuell nach Abbruch Neubaubeginn Wohngebäude). Der US-Verband blieb bis Ende Mai (meine Anmerkung: Nachfolger nun britische Verbände? Denn Wiederholt spricht von längerer Belegung im Kameradschaftshaus). Weiter E.H. Nach dem Waffenstillstandsabkommen am 9.Mai 1945 war „Waffenruhe“ angesagt, aber die Rückführung der Zwangsarbeiter gelang nicht immer problemlos. Viele fürchteten sich vor den neuen Verhältnissen im Osten und zogen teils marodierend durch die Lande. Dieser Zustand von Plünderung, Raub und sogar Mord wurde dann durch den energischen Einsatz der Besatzungstruppen beendet. In Holzwickede wurde am Bahnhof ein Zug zusammengestellt für die Heimfahrt der Völker des Ostens. Angekoppelte Güterwagen mit ihrer Habe oder Plünderungsgut blieben bei der nächtlichen Abfahrt aber seltsamerweise stehen, da wohl heimlich wieder abgekoppelt und der Personenzug setzte sich allein in Bewegung.
Der Vater von Ernst Hinnerwisch jun. kommt 2 Tage vor Weihnachten krank aber glücklich aus der Gefangenschaft von der Westfront zurück. Die Druckerei war ausgebrannt und der Wiederaufbau erst 1953/54 möglich. Ende sinngemäßer Auszug von E. Hinnerwisch.
Dazu zumindest eine Lithographie (1906) aus dem Verlag Julius Hinnerwisch
Wir sehen in die Kaiserstraße in Richtung Süden und der Standort ist Straßenmitte vor dem alten Saalbau Jacques. Die „kotflügelfreundliche“ Straßenbegrenzung mit weiß getünchten Basaltsteinen grenzt die Kaiserstraße nur westlich vom Bürgersteig ab und der Lehmboden ist in beiden Fällen nur im trockenen Zustand empfehlenswert. Links die Riekehäuser Ernst und Albrecht (nördliches Haus Theodor Rieke noch nicht gebaut) und rechts nun das erste Haus die Druckerei Hinnerwisch wohl von Julius im Jahr 1898 gebaut. Der Sohn Ernst sen. übernahm die Druckerei 1931 und hatte die Meisterbriefe für Buchdruck und Schriftsatz (Schweizer-Degen). Hinter Julius Hinnerwisch das Haus des Dachdeckers Wilhelm Griesel gefolgt vom Haus Kaspar Schöttler (Schuhmacher). Der einsame Passant mit Vatermörder und Aktentasche war vermutlich Bahnbeamter auf dem Weg zur Arbeit. Straßenverkehr hatte er nicht zu befürchten, da nur 2 Autos in dieser Zeit wohl unterwegs waren. „Das Auto von Zechendirektor Tengelmann vermutlich schon auf der Zeche abgestellt und das weitere Auto von Dr. Voigt evtl. durch Krankenbesuch oder Hausgeburt aus dem Verkehr gezogen“. Die Häuser teilweise mit Reichsflaggen geschmückt – Anlass?
Zurück zur Familie Wiederholt/Becker.
Das Haus von Helga Becker (Tochter Wiederholt) mit Ehemann Dr. Walter Becker wurde in Menden von den Engländern in Beschlag genommen und so zog das Ehepaar mit Sohn Ernst-Albrecht in die frei gewordene Franzosenbaracke beim Pförtner – Ost. In der ebenfalls verlassenen Russenbaracke wurde eine Notküche eingerichtet, die aus dem Kameradschaftshaus ausquartiert wurde und am 7. August 1945 schon wieder ihre Tätigkeit aufnahm. Teile der Belegschaft wurden zur Beseitigung von Kriegsschäden in der Gemeinde vorübergehend eingesetzt und natürlich das Werksgelände aufgeräumt.
Kriegsende und Nachkriegszeit von 1944 bis 1948 sind nun mit der 3. Krise bei Wiederholt verbunden und festzuhalten.
Vincenz Wiederholt mit seinem weiteren kaufmännischem Instinkt und Improvisationstalent bei grundlegendem Optimismus (er bezeichnete selbst dies öfters als seine „lichten Momente“) erkennt in den lokal zerstörten Verhältnissen den Regionalbedarf u.a. an Einfriedungen, Gartentoren usw. und in einer Notlösung produziert er aus den vorhandenen Rohren entsprechend. Der Verkauf ging an Gärtner, Landwirte, Obst- und Gemüseplantagenbesitzer in den Regionalbereich und die belieferten Metzger, Bäcker, Landwirte bedankten sich teils auch zusätzlich in Naturalien.
Auch mein Vater als Landarzt erhielt einmal in dieser Zeit ein Schwein zur Vergütung und aus den Familiengesprächen später ist zu entnehmen, dass die weitere Angelegenheit nicht ohne Komplikationen verlief.
Das geheime Potsdamer Abkommen bestimmte dann im August 1945 die wesentlichen Grundzüge der Siegermächte für den Umgang mit Deutschland und seine zukünftige Gestaltung.
Mit dem Potsdamer geheimen Abkommen ist nun auch ferner die ENTNAZIFIZIERUNG der deutschen Bevölkerung anzuführen. Eine detaillierte Ausführung dazu ist an dieser Stelle absolut nicht möglich. Abgesehen von den Kriegsverbrecherprozessen, Militärgerichten und eingerichteten Spruchkammern u.a. in Nürnberg ist die Aufarbeitung der NS – Vergangenheit in der Nachkriegszeit mit Entfernung von NS – Eliten aus Verwaltung, Justiz, Industrie usw. rückblickend vorsichtig als „teils sonderbar“ einzustufen. Namhafte NS- Funktionäre kamen ungeschoren davon, im Bundeskriminalamt waren anschließend der Großteil der Beschäftigten aus NS – Zeiten zu finden und im Bundestag waren bis in die 1970ger Jahre bis zu 25% ehemalige Nationalsozialisten ! Es gibt genügend Literatur zur näheren Beschäftigung damit.
Auch auf kleinerer unterer und lokaler Ebene wurden die NS- Vergangenheiten durchleuchtet und über 60% wurden als sog. „Mitläufer“ unbehelligt eingestuft. Nach einer möglichen Internierungsphase wurde in der Regel das Verfahren auf ein Hafturteil mit der Internierung „ zeitlich verrechnet“ und war damit meistens beendet oder es wurde mit einer Geldstrafe abgegolten. Folgend beispielhaft ein Brief der Entnazifizierungskommission im Bezirk Berlin-Treptow
Auch Vincenz Wiederholt hatte ebenso wie weitere Werksangehörige natürlich das Verfahren zu durchlaufen und bis zu seinem unbelasteten Abschluss ruhte wohl zwischen August 1948 und Februar 1949 seine offizielle Geschäftsführung. Nach sicherlich persönlicher Absprache übergab Vincenz Wiederholt für diese Zeit - „pro forma anzunehmend“ – die nötige Unterschriftenverfügung zur Einzelprokura an Elias Bevers aus Hohenlimburg. Bevers war der Schwiegervater von Dr. Walter Becker (verheiratet mit der Tochter Helga von Erna und Vincenz Wiederholt) und Großvater von Walter Eberhard Becker dem Stiefenkelsohn von Vincenz Wiederholt. Walter Eberhard Becker wuchs nach dem Tod seiner Mutter im Zusammenhang mit seiner Geburt bei den Großeltern in Hohenlimburg auf und die Familien Bevers und Möller waren befreundet. Frau Erna Wiederholt war wie oben schon erwähnt eine Tochter aus dem „Haus Sonnenschein“ der Familie Gustav Möller und ihr Bruder etablierte eine namhafte Lackfabrik in Lüdenscheid.(s.erwähnter Neffe von Vincent Wiederholt Dr.Gerd Möller "Möller-Lüdenscheid").
Im Jahr 1947 treffen die ersten Waggons wieder mit Bandeisenstahl in Rausingen ein und die Währungsreform im Jahr 1948 war eine wesentliche positive Entscheidung für die Entwicklung im westlichen Zonenbereich nach dem 2. Weltkrieg.
Die „letzte Stunde“ der Reichsmark nachfolgend philatelistisch dokumentiert.
Innerhalb kürzester Zeit verbesserte sich die Versorgungslage der Bevölkerung und auch die Materialengpässe in der Industrie reduzierten sich eindrucksvoll. Das Werk in Rausingen „nimmt wieder Fahrt auf“ mit der Rohrproduktion u.a. auch von Gas- und Wasserrohren an die Kommunalverwaltungen und beliefert wieder die Elektroindustrie und Stahlmöbelhersteller. Der wichtigste und zunehmend erfolgreiche Weg für die VW - Werke wurde aber mit dem beginnenden Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik die Belieferung mit Rohrprodukten in der anwachsenden Automobilindustrie.
Der erste Nachkriegsbetriebsausflug führte dann 1948 übrigens schon nach Eversberg ins Sauerland und Jagdsitz von Vincenz Wiederholt.
Fortsetzung folgt