Friedrich Stehfen  und seine Stiftungen

Holzwickeder Persönlichkeit  (1809 -1879)

4.Fortsetzung

11.10.2023

Die bautechnischen Gegebenheiten  zur Präparandenanstalt wurden bereits vorgestellt, es gilt aber noch  ein Blick auf die Ausbildungssituation der Zöglinge zu werfen. Begabte Volksschüler mit  dem Wunsch zur Lehrerausbildung konnten in Holzwickede sich vorbereiten auf die Aufnahmeprüfungen in den evangelischen Schullehrer-Seminarien der Provinz Westfalen und dies war  in  diesem Fall in der Regel die Stadt Soest. Der Tagesablauf war  vom Wecken um 6Uhr bis zur Bettruhe um 21.30Uhr streng reglementiert mit den Zeiten zu den Mahlzeiten und beinhaltete zudem an Schul- und Arbeitszeiten insgesamt täglich 9 1/2 Stunden! Von den ersten 11 Zöglingen mit Einweihung vom 1. Februar 1872 haben sich dann auch 9 zur Aufnahmeprüfung angemeldet und wohl überdurchschnittlich alle bestanden und dies war sicherlich ein großer Erfolg für den ersten Lehrer und Inspektor Friedrich Nase. Der Andrang  auf Aufnahme in die Präparande war groß, bald waren bis zu 100 Zöglinge  3klassig zu unterrichten und dazu einmal der Lehrplan aus Schrift  von K. Ligges aus dem Jahr 1969.

 

Die Situation zwang rasch zur Anstellung von 3 hauptamtlichen Lehrern und auch Holzwickeder Schullehrer (Rosendahl, Demandt) unterrichteten zusätzlich an der Präparande und die Zöglinge dort lernten ihre Fähigkeiten im Bereich Unterricht im benachbarten Erziehungshauses zu schulen. Ein sinnvolles Zweckbündnis für die wohl insgesamt 1000 Zöglinge, die in 50Jahren Präparande ihre Vorbereitung zum Seminar und dann als Lehrkraft an evangelischen Volksschulen erhielten.

Ligges führt zwei berühmte Schüler der Präparande an, die beachtenswerte Lebensziele erreichten nach ihrem Präparandenbesuch 1877/80. Einmal Wilhem Middelschulte, der es auf seinem Weg  bis zum Organisten in Chicago brachte und den der Kirchenmusikdirektor Gerhard Bunk als “größten Kontrapunktiker seit J. Bach”  bezeichnete. Ferner sein Mitschüler Karl Brauckmann, der über Soest an die Universität in Jena gelangte und dort weltweit beachtet eine erste deutsche Schwerhörigenschule etablierte mit einem neuartigem erfolgreichen Unterrichtsverfahren. Die Förderschule in Holzwickede für mehrfach behinderte  Schüler (gegründet mit ca. 100 Schülern und 19 Lehrkräften im Jahr  1978/79)  erhielt ihm zu  Ehren den Namen Karl-Brauckmann-Schule. Nach dem lesenswerten Internetauftritt  der Sonderschule dort  zur Zeit ca. 160 Schüler in 16 Klassen und 55 Lehrkräfte in Holzwickede und aktuell bestehen  Pläne zur großzügigen Erweiterung und Modernisierung!

Zurück zur Präparande.

Im Jahr 1893 Anerkennung durch Verfügung Wilhelm II. als juristische Person, im Jahr 1902 Umfirmierung in “Evangegelische-Privat-Präparanden-Anstalt in Holzwickede” und im Jahr 1917 endlich die Genehmigung eigene Abschlußprüfungen zur Seminaraufnahme  abhalten zu können. Aber die Zeiten hatten sich gewandelt, der stark ausgerichtete evangelisch-christliche Ausbildungsweg zum Lehrer geriet im liberalen Zeitgeist  ins Abseits und gesetzlich wurde ab dem 1922 die Lehrerausbildung reformiert und die Präparande in Holzwickede hatte damit ausgedient. In Anbetracht dieser absehbaren Entwicklung bemühte sich das Kuratorium (mit u.a. Wilhelmine Büddemann damit auch mit einer Nachfolgerin von Friedrich Stehfen besetzt)  um Auswege in  der Belegung zu erreichen und das Haus zu erhalten. Es wurde ein Seminar für den kirchlichen  Hilfsdienst für Jugendpfleger und kirchliche Katecheten (Religionslehrer) etabliert und dies in Zusammenarbeit mit der Rheinischen Missionsgesellschaft in Wuppertal-Barmen und ihrem “Martineum in Witten”.  Schwierige Verhandlungen auch durch unkalkulierbare finanzielle Belastungen und z.B. unterschiedliche berechtigte Vorstellungen in der Altersvoraussetzung  der Beschulung  führten dann dennoch zur Vermietung und Unterstellung der Präparande in Holzwickede  an die Rheinische Missiongesellschaft. Die Holzwickeder Seminaristen zogen am 9. September 1922 mit  Direktor Wilhelm Flicker nach  Barmen um und im Gegenzug  belegte die Missionsgesellschaft die vermieteten Räume der Präparande  mit dem Einzug von Missionarsfamilien.

 

Im obigen Schreiben vom 23. Januar 1922 bestätigt Direktor Flicker die gute Führung des Präparanden Georg Fischer aus Holzwickede seit dem Jahr 1920, der  die Anstalt  verlässt, um einen anderen Beruf zu wählen. Vielleicht  war diese Entscheidung mit der bevorstehenden Verlegung  nach Barmen verbunden.

Im Jahr 1943 wurden dann die Stiftungen aufgelöst, den Gebäudekomplex übernahm das  Amt Unna-Kamen und richtete im selben Jahr eine Lehrerinnen-Bildungs-Anstalt ein und ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Ausführungen zum Kinderheim im Zusammenhang mit dem alliierten Luftangriff auf Holzwickede am 23. März 1945.

Nach dem 2. Weltkrieg erwarb die Firma Vinzenc Wiederholt das Gelände und errichtete  ein großes Werkwohnungshaus  an dieser Stelle. (bitte Fotoquelle evtl. melden zur Angabe)

 

Dependance Opherdicke

Durch das Fürsorgegesetz aus dem Jahr 1900 waren die Anmeldungswünsche für das Erziehungshaus stark angestiegen.  Schon einmal wurde auf die Dependance mit einem Erziehungshaus in Opherdicke hingewiesen. Da dies im Geist des Mutterhauses der Stehfenstiftung mit dem Erziehungshaus in Holzwickede verbunden ist, folgt an dieser Stelle noch eine kurze Vorstellung des Hauses in Opherdicke. Im Jahr 1905 wurde  dem zusätzlichen Erweiterungsbau im Kuratorium zugestimmt und der Architekt Siebold aus Bethel  führte den Bauplan für 75 Kinder aus. Da Pfarrer Friedrich von  Bodelschwingh  von Bethel aus im preußischen Kulturministerium den Turnhallenbau der Präparande unterstützt hat, zeigt sich wohl auch in diesem Fall eine mögliche Beziehung und sein Interesse an den Gegebenheiten in Holzwickede seit seiner Pfarramtszeit in Dellwig und dem damals  engen Kontakt mit Friedrich Stehfen.

Folgend die „Knaben“erziehungsanstalt  Opherdicke (Kreis Hörde) auf einer Ansichtspostkarte aus dem Verlag Julius Flechtner (Unna, Holzwickede, Bad Königsborn).

 

Mit 70 Kindern wurde  im 1906 der Neubau bezogen, erster Hausvater war Lehrer Ernst Kämpfer, der seine Aufgabe bis zum Jahr 1910 wahrnahm, dann folgte Lehrer  Heinrich Orlopp. Die feierliche Einweihungsfeier war der 14. März 1907 gewesen. Dazu noch die obige Ansicht  auf einer weiteren Karte von Lisa an Wilhelmine in Fröndenberg. Vorderseitig hat der Hausvater noch einen Kartengruß hinterlassen mit Herzliche Grüße, auch Ihren geschätzten Eltern, Ihr E. Kämpfer ! Das Haus ist noch mit einem Jägerzaun umgeben hinter dem langsam eine Hecke herangewachsen  sollte.

 

Aus der Ägide Kämpfer kann der Poststempel das  Jahr 1910 noch dokumentieren und es findet sich auch  entsprechend ein Stempelabschlag  OPHERDICKE  vom 25. Januar 1910. Die Posthilfsstelle Opherdicke (eigenständig seit 18. April 1896) im Gasthof zur Post von Wilhelm Becker war damals zuständig noch für Lappenhausen, Hengsen und Keller und dazu ein Ausschnitt Gasthof Becker mit kaiserlichem Postamtschild und Briefkasten und die oben erwähnte Fotoansichtskarte mit Text und Poststempel Opherdicke.

 

Fortsetzung folgt