Friedrich Stehfen  und seine Stiftungen

Holzwickeder Persönlichkeit  (1809 -1879)

3.Fortsetzung

30.09.2023

Dazu noch einmal eine bunte Gesamtansicht der Stehfenstiftungen

aus dem Verlag Julius Hinnerwisch

 

Auf der Wiese steht heute die Wohnanlage Caroline, links westlich das neue große Lehrerwohnhaus, nach Osten die Präparande und das Erziehungshaus. Im Hintergrund die Pappelallee an der Chaussee (R1, B1). Aber zwischen Lehrerwohnhaus und Präparande sind noch bauliche Strukturen erkennbar und dazu noch  folgende  Ansicht etwas nordöstlicher. Nun ist zwischen Lehrerwohnhaus und Präparande  der Turnhallenbau aus dem Jahr 1906 (Bauempfehlung von Friedrich von Bodelschwingh) erkennbar, dahinter die Felder Middelschulte und Büddemann (vormals Stehfen) und heute Ecoport vor der  damaligen Pappelallee, Nordschulgebäude mit Lupe schwach erkennbar. Noch keine Bebauung Lessingstraße sichtbar zumindest im nördlichen Teil. Bismarckstraße noch nicht vorhanden. Elektromasten an der Rausingerstraße (seit 1908 Elektrifizierung in Holzwickede).

 

Fotoansichtskarte aus dem Verlag Julius Flechtner  (Unna, Holzwickede, Bad Königsborn) geschrieben am 10. Juni 1919 offenbart nun im Detail die Turnhalle aus dem  Jahr 1906, rechts  Anbauten der Präparande vermutlich  Waschküche, Wirtschaftsräume und weitere Schulungsräume aus dem Jahr 1897/99. Links ein überdachter und eingezäunter Lagerplatz Richtung Lehrerwohnhaus.

 

Auch die Zöglinge der Präparandenanstalt  hatten ihren Einsatz in der Landwirtschaft  (z.B. vom Hof Büddemann – Stehfen gepachtetes Gelände nordöstlich der Präparande). Folgend links das Haus Willingmann als damals  letzte nördliche Bebauung auf der Moltkestraße (heute Lessingstr.), nach  rechts anschließend Schacht (Förderturmspitze) Zeche Caroline, Schornstein Zeche Caroline, Haus Freeze aus dem Jahr 1909 Rausingerstraße, im Hintergrund noch zweiter Schornstein und Wasserturm jeweils Zeche Caroline

 

Wurde der Komplex Erziehungshaus und Präparande  in Frontansicht in großer Zahl auf Fotokarten festgehalten  und ist häufig zu finden, da teils auch häufig  von den Zöglingen  zur Korrespondenz genutzt, ist ein Blick vom Norden auf den Gesamtkomplex mit den zahlreichen Wirtschaftsgebäuden  selten. Dazu eine Winteraufnahme. Leider ist mir der  „Spender“  dieser Ansicht nicht mehr bekannt, evtl. bitte einmal zur  Quellenangabe melden.

 

Links Erziehungsanstalt mit Querbau, davor sicherlich Scheune und Stallungen. Anschließend die Präparande  mit Anbau Richtung Turnhalle, die selbst rechtsseitig  imponiert und heute Mehrzweckhalle der Gemeinde Holzwickede ist und quasi als einziges Gebäude aus dem Komplex mit dem benachbarten Lehrerhaus den Luftangriff  aus dem März 1945  überstanden hat.

Nach der Vorstellung der baulichen Gegebenheiten (weitere Ergänzungen oder Korrekturen sind herzlich willkommen und werden mit Quellenangabe eingefügt)  bedarf es etwas noch der  Betrachtung der weiteren Entwicklung  der Stehfen – Stiftungen. Etliche Übersichtsdaten und Hinweise sind dazu aus  den zu Beginn aufgezählten Literaturangaben zu entnehmen. Zunächst aber an dieser Stelle einmal der Hinweis, dass über die oben angeführten Literaturstellen hinaus  aus dem Hellweger Erziehungshaus auch Jahresberichte existieren und eine lesenswerte Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens. Dazu einmal  meine  vorhandenen Originalschriften aus den  Jahren 1865, 1867, 1869 und 1913 und zunächst ist  damit das Erziehungshaus zu betrachten.

 

Die Jahresberichte schildern neben  der Kassenführung und den Spenderlisten auch  Einblicke in den organisatorischen  Teil mit Hinweisen  spez. auch zu den Anforderungen an die Hausväter. Probleme der Unterkunft sind noch der geringste Teil, man ahnt die Problematik einer Großzahl von  teils erziehungsschwierigen Kindern im Tagesablauf in jeder Hinsicht gerecht zu werden  und dabei den Auftrag zur Förderung und Schulung zu gestalten. Denn Erziehung bedeutet sich unbeliebt zu machen und dies unbedingt in begründeter  konsequenter und gleich bleibender Form. Zu Gute kommt in solchen Gemeinschaften in der Regel eine lehrreiche  spontane Gruppendisziplin  von älteren zu  jüngeren Kindern  mit  dem Willen  den strukturiert vorgegebenen Tagesablauf  als gegeben zu akzeptieren und positiv zu bewerten. An dieser Stelle bedarf es noch eines Hinweises. Die obigen Berichte erzählen von den wichtigen Hausvätern und ihren Aufgaben einschließlich Unterrichtung der Kinder und führen die begleitenden  Ehefrauen nur am Rande mit auf. Dies ist sicherlich  dem Zeitgeistempfinden von vor 150 Jahren geschuldet. Die Ehefrauen der Hausväter hatten sicherlich auch eine wichtige tragende und unterstützende Funktion im Organisationsablauf der Erziehungsanstalt!

Die finanzielle Situation war durch  großzügige Spenden auch in testamentarischen Berücksichtigungen  zu dokumentieren, aber auch Kleider- und Naturalspenden  waren  höchst willkommen, um das Bestreben der Selbstversorgung  auch  mit der Gartenarbeit und der Feldversorgung  möglichst  zielgerichtet zu erreichen. Der Einsatz der Kinder in der eigenen Landwirtschaft war  ein Erziehungspunkt ebenso wie die Vermittlung und Beschäftigung in Handwerksberufen (Tischler, Stellmacher, Schuster, Schneider usw.). So gelang es in der Regel mit der Konfirmation und dem Schulabschluss die Kinder erfolgreich in das Berufsleben zu führen! Schon früh führte die  erfolgreiche Arbeit  zur Anerkennung des Erziehungshauses als  juristische Person im Jahr 1873.

Dazu einmal aus der Ausgabe des Jahres 1865 einmal  ein Ausschnitt aus der Naturalgabenliste  für das Erziehungshaus betreffend  das Kirchspiel Opherdicke  mit interessanten Namen alter Familien und allein die  Artikel und die Mengen in alten Maßeinheiten und alter Orthographie  sind eine lesenswerte Quelle und für  den Leser nach 170 Jahren  offenbart sich eine Welt der Bescheidenheit.

 

Mit dem Zwangserziehungsgesetz  aus dem Jahr 1878  wurde mit der  Provinzial – Verwaltung in Münster  - wie schon einmal erwähnt - ab dem Jahr 1884  vereinbart, auch straffällig gewordene Kinder in begrenzter Zahl  aufzunehmen. Ein Anwachsen der Kinderschar    zum Anfang des 20. Jahrhunderts  auch bedingt durch das Fürsorgegesetz von 1900 rasch über 120 bis auf 190 Kinder  macht die Entscheidung  erklärlich, mit einem Dependancehaus  in  Opherdicke  und die dortige Eröffnung im Jahr 1906 für 75 Kinder, um die problematische Versorgungssituation zu entschärfen. Die Erziehungsanstalt in Opherdicke werde ich noch einmal  gesondert vorstellen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend provinzeigene  Fürsorgeeinrichtungen  etabliert und ab den 1920er Jahren ging  die Anzahl der Zuweisungen für das Hellweger Erziehungshaus  zurück und das Kuratorium  hat ab dem Jahr 1930  die Aufnahme von schulentlassenen schwach begabten Knaben  beschlossen, die hier eine weiterführende Fortbildung (Gartenbau, Landwirtschaft, Schneiderei, Schusterei und Schreinerei usw.) erhielten  und damit die Zahl der zu betreuenden Kinder mit Jugendlichen stabilisierte, die sonst ohne Aufnahme einer Berufstätigkeit waren.

Aber auch die NS – Zeit brachte gleich  eine problematische Situation.  Der schon im Thema Zeche Caroline mehrfach vorgestellte NSDAP – Ortsgruppenleiter  Paul Geldmacher sah in der christlichen Tradition und Haltung des Erziehungshauses  eine Konkurrenz zur NS – Ideologie, warf dem Hausvater Krüpe Korruption vor, was natürlich durch die NS – Gauleitung in Bochum  zur Aktenbeschlagnahmung führte. Die NS – konforme Untersuchungskommission bestätigte  den Sachverhalt und Krüpe wurde entlassen. Der Holzwickeder Lehrer Wilhelm Cordes  wurde als Hausvater bestellt, sorgte für eine NS – konforme Beschulung,  stellte aber immerhin fest, dass die Anschuldigungen haltlos und  eigentlich nicht rechtens waren. Ein neues Kuratorium wurde etabliert und das Erziehungshaus wurde Ende des Jahres 1933 ein reines Waisenhaus  und erhielt gleich aus Dortmund die Zuweisung von 60 schulpflichtigen Waisen, die zur Unterrichtung der Nordschule und  der Chausseeschule zugewiesen wurden.

Auch der Name wurde Ende 1933 geändert in „Hellweger Kinderheim“.  Im Juli 1938 war noch das 75jährige Jubiläum, aber im Jahr 1943 wurde die Stiftung Hellweger Kinderheim aufgelöst  und das Gebäude gelangte in den  Besitz  des Amtes Unna-Kamen.  Zusammen mit der Präparande wurde eine Lehrerinnen – Bildungs - Anstalt (LBA) etabliert. Dazu ein netter Kartengruß mit Datum vom 26.8.1943 von Hilda Oestreich  an ihre Freundin Magret Beermann in Bünde und der Hinweis auf das Kinderheim wurde durchgestrichen. Im Ausschnitt  noch  der Absender und der Hinweis LBA Rausingerstraße 22.

 

Ich habe in meinen Unterlagen noch einen Zeitzeugenbericht von  Erika Giebel gefunden, die  an der LBA  (Lehrerinnenbildungsanstalt) den schrecklichen  alliierten Luftangriff erlebte:

Sinngemäß nach E.G:

Bei Vollalarm  zum alliierten Luftangriff auf den Bahnhof Holzwickede am 23. März 1945  flüchteten die Schülerinnen der 3 Klassen in  die zuvor zugeteilten vorbereiteten 3 Luftschutzkeller  der ehemaligen  Präparande und  Kinderheimtrakt und überlebten dort. Das darüber liegende Gebäude brannte aus und  nur notdürftig konnte einiges an persönlichen Dingen bzw. Vorräte aus den Kellerräumen geborgen werden, bevor der Gebäudekomplex verlassen werden musste und ausbrannte. Denn bei diesem Angriff im März 1943 wurde der Gesamtkomplex wie vorgestellt bis auf die Turnhalle und das Lehrerhaus vernichtet. Nach Notunterkunft in nicht zerstörten Häusern in Holzwickede stand in der Regel der Fußweg ins Elternhaus an bis ins Sauerland, Siegerland, Münsterland oder ins Ruhrgebiet !

Die Fortsetzung  wirft dann einen Blick zurück auf die Präparande und ihre weitere  Entwicklung.

Bis demnächst wieder einmal, Ihr E.-M.Eden, Holzwickede